Das Aktivitäts-Paradoxon: warum dich dein Fitnesstracker belügt

Hast du schon einmal stundenlang im Fitnessstudio geschwitzt, nur um dann enttäuscht festzustellen, dass sich auf der Waage kaum etwas verändert hat? Oder dich gefragt, warum manche Menschen scheinbar mühelos ihr Gewicht halten, während andere trotz intensiver sportlicher Aktivitäten kaum Fortschritte machen? Ein wegweisendes Modell von Herman Pontzer und seinem Team könnte die Erklärung liefern: das „Constrained Total Energy Expenditure“ Modell. Bereits 2016 vorgestellt, bietet es eine bahnbrechende Perspektive auf den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Energieverbrauch. Dennoch hat dieses Modell bisher nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die es verdient – das möchte ich in diesem Artikel ändern.

Das bequeme Laienmodell

Ich denke, dass ich für die Mehrheit meiner Mitmenschen spreche, wenn ich sage, dass wir lange Zeit angenommen haben, der Energieverbrauch würde mit anhaltender körperlicher Aktivität linear anwachsen (vgl. Abbildung 1). Die gängige Vorstellung lautet: je mehr wir uns bewegen, desto mehr Kalorien verbrennen wir und desto leichter fällt es uns, abzunehmen oder unser Gewicht zu halten.

Abbildung 1: Herkömmliches additives Modell, welches auf der Annahme beruht, dass der Gesamtumsatz linear mit zunehmender körperlicher Aktivität anwächst (Werte wurden zufällig gewählt).

Auch handelsübliche Fitnesstracker und Kalorienrechner ermitteln den Energieverbrauch auf diese vereinfachte Weise. Doch die Forschung von Herman Pontzer und seinem Team zeigt ein ganz anderes Bild: Unser Körper ist weitaus komplexer und anpassungsfähiger, als wir bisher dachten.

Das adaptive Stoffwechselmodell

Das „Constrained Total Energy Expenditure“ Modell basiert auf der Idee, dass unser Körper einen begrenzten Rahmen für den täglichen Energieverbrauch hat1. Das bedeutet, dass es eine Obergrenze gibt, wie viele Kalorien unser Körper an einem Tag verbrennen kann, unabhängig davon, wie viel wir uns bewegen (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Beschränktes Modell, welches auf der Annahme beruht, dass der Gesamtumsatz nach oben hin beschränkt ist und der Körper bei zunehmender Aktivität Energie einspart, indem er andere nicht-lebensnotwendige Prozesse drosselt (Werte wurden zufällig gewählt).

Doch wie kommt es zu dieser Begrenzung? Pontzer et al. haben dies durch Studien an den Hadza, einem Volk von Jägern und Sammlern in Tansania, erforscht. Sie gingen davon aus, dass die Hadza, aufgrund ihres aktiveren Lebensstils, einen deutlich höheren Energieverbrauch haben müssten als Menschen in industriellen Gesellschaften. Auf Beschleunigungsmessung basierende Untersuchungen ergeben, dass Hadza ungefähr 135 Minuten täglich (!) mäßige bis starke körperliche Aktivitäten ausüben2. Das entspricht in in etwa der WHO-Empfehlung für körperliche Aktivität pro Woche3. Überraschenderweise stellten die Forscher fest, dass der tägliche Energieverbrauch der Hadza kaum höher war als der von Menschen in westlichen Ländern, obwohl die Hadza viel aktiver waren (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Im Durchschnitt unterscheiden sich die Energieverbräuche zwischen Menschen aus der westlichen Welt und den Hadza nur unmerklich. Bei den Männern konnte sogar festgestellt werden, dass die deutlich aktiveren Jäger und Sammler aus Tansania weniger Kalorien verbrennen als ihre westlichen Artgenossen (*Um die durch die Körpergröße bedingten Unterschiede im Energieverbrauch zu berücksichtigen, wurden die westlichen Durchschnittswerte auf die Körpergrößen der Hadza normiert). In Anlehnung an Scientific American.

Exkurs: Die Doubly Labeled Water (DLW) Methode

Um den tatsächlichen Energieverbrauch genau zu bestimmen, griffen Pontzer und sein Team auf die sogenannte Doubly Labeled Water (DLW) Methode zurück4. Diese Methode gilt als eine der präzisesten Techniken zur Messung des Energieumsatzes über einen längeren Zeitraum.

Zunächst muss man verstehen, dass für die Berechnung des Energieverbrauchs die Menge an Kohlendioxid (CO2) benötigt wird, die vom Körper produziert wird. Warum? Die Produktion von CO2 ist direkt mit dem Energieverbrauch verknüpft, weil bei der Energieerzeugung im Körper CO2 entsteht. Die „doubly labeled water“ (DLW) Methode ist eine Technik, die genau diese CO2-Produktion misst, um den Energieverbrauch einer Person zu bestimmen.

Die Methode beginnt damit, dass die testende Person ein speziell markiertes Wasser trinkt. Dieses Wasser enthält zwei Isotope: ein schweres Wasserstoffisotop (Deuterium, ²H) und ein schweres Sauerstoffisotop (¹⁸O). Anschließend verteilt sich dieses markierte Wasser im Körper.

Sauerstoff-18 verlässt den Körper auf zwei Wegen: durch das Ausatmen von CO2 und durch Wasserverlust (wie Urin, Schweiß und Atmung). Deuterium hingegen wird ausschließlich durch Wasserverlust entfernt. Indem man misst, wie viel Deuterium und Sauerstoff-18 nach einer bestimmten Zeit noch im Körper vorhanden sind, kann man feststellen, wie viel Wasser der Körper verloren hat (durch Deuterium) und wie viel Sauerstoff-18 sowohl durch Wasserverlust als auch durch ausgeatmetes CO2 verloren ging.

Da der Wasserverlust durch Deuterium bekannt ist, kann man den Anteil des Sauerstoff-18, der durch Wasser verloren ging, bestimmen. Der restliche Verlust von Sauerstoff-18 muss dann durch ausgeatmetes CO2 erfolgt sein. Dieser Wert gibt an, wie viel CO2 der Körper produziert hat.

Wie der Körper den Energieverbrauch reguliert

Diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass unser Körper über Mechanismen verfügt, die den Gesamtenergieverbrauch regulieren, um innerhalb eines bestimmten Rahmens zu bleiben (selbes scheint im Übrigen auch für andere Warmblüter zu gelten5). Wenn wir uns mehr bewegen, kompensiert der Körper dies durch eine Reduzierung des Energieverbrauchs in anderen Bereichen. Diese Anpassungen können auf zwei wesentlichen Ebenen stattfinden:

  1. Essentielle Funktionen: Der Energieverbrauch für lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Herzschlag, Immunsystem und Körpertemperaturregulierung kann angepasst werden.
  2. Nicht-essentielle Aktivitäten: Tätigkeiten wie Reproduktion, Sprechen und sogar kleine unbewusste Bewegungen (auch fidgeting genannt) können reduziert werden.

Aus einer evolutionären Perspektive macht diese Anpassung durchaus Sinn: es erhöht die Überlebensfähigkeit des Menschen in Umgebungen mit begrenzten Ressourcen. In der Evolution des Menschen war es oft entscheidend, Energie zu sparen und effizient zu nutzen, um in Zeiten des Nahrungsmangels zu überleben und Energie für wesentliche biologische Prozesse wie Fortpflanzung und Immunabwehr bereitzustellen. Dass dieser Energiesparmodus mit unserer heutigen Lebensweise, welche von übermäßigem Nahrungsangebot geprägt ist, kollidiert, liegt auf der Hand.

Die Implikationen für Gewichtsabnahme und Gesundheit

Sollte man also in Anbetracht dieser Erkenntnis den Sport lieber hinschmeißen? Keinesfalls! Sport bietet viel zu viele Vorteile, um darauf zu verzichten (verbessertes Herz-Kreislauf- sowie Immunsystem, Stärkung von Muskel und Knochen, Stressabbau, Stimmungsbooster, höhere Schlafqualität und vieles mehr).

Jedoch sollten wir unsere bisherigen Strategien zur Gewichtsabnahme überdenken. Abschließend möchte ich dir ein paar Tipps auf den Weg geben, um effektiv Gewicht zu verlieren:

  1. Realistische Ziele setzen: Sei dir im Klaren darüber, dass drastische Veränderungen möglicherweise nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Setze dir realistische, langfristige Ziele.
  2. Ernährung und Bewegung kombinieren: Da der Körper den Energieverbrauch durch Bewegung begrenzt, ist es wichtig, auch die Kalorienaufnahme zu kontrollieren.
  3. Langfristige Änderungen: Kurzfristige, intensive Trainingsprogramme sind möglicherweise weniger effektiv als langfristige, moderate körperliche Aktivitäten in Kombination mit gesunden Ernährungsgewohnheiten.
  4. Ganzheitlicher Ansatz: Neben Bewegung und Ernährung sollten auch andere Faktoren wie Schlaf, Stress und allgemeines Wohlbefinden berücksichtigt werden.

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Quellen

  1. Pontzer, H., Durazo-Arvizu, R., Dugas, L. R., Plange-Rhule, J., Bovet, P., Forrester, T. E., Lambert, E. V., Cooper, R. S., Schoeller, D. A., & Luke, A. (2016). Constrained Total Energy Expenditure and Metabolic Adaptation to Physical Activity in Adult Humans. Current biology : CB26(3), 410–417. https://doi.org/10.1016/j.cub.2015.12.046 ↩︎
  2. Pontzer, H., Wood, B. M., and Raichlen, D. A. (2018). Hunter-gatherers as models in public health. Obesity Reviews, 19: 24–35. https://doi.org/10.1111/obr.12785. ↩︎
  3. WHO (2020). WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour: at a glance. ↩︎
  4. Krumbiegel, P. (2010). Assessment of body composition and total energy expenditure in humans using stable isotope techniques; IAEA Human Health Series No. 3. Isotopes in Environmental and Health Studies46(4), 508–509. https://doi.org/10.1080/10256016.2010.521823 ↩︎
  5. O’Neal, T. J., Friend, D. M., Guo, J., Hall, K. D., & Kravitz, A. V. (2017). Increases in Physical Activity Result in Diminishing Increments in Daily Energy Expenditure in Mice. Current biology : CB27(3), 423–430. https://doi.org/10.1016/j.cub.2016.12.009 ↩︎

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