Der Kalorien-Mythos

Der Beginn eines Neuen Jahres steht bei vielen Menschen meist im Zeichen einer besseren Lebensweise. Hierbei reichen die Vorsätze von „Mehr Sport treiben“ über „Mehr Zeit mit der Familie / Freunden verbringen“ bis hin zu „Weniger Zeit in sozialen Medien verbringen“. Eine im November letzten Jahres durchgeführte Umfrage zeigt jedoch, dass das beliebteste Vorhaben – wie anzunehmen – „Gesünder ernähren“ darstellt [1]. Anlässlich dieser Tatsache möchte ich mich in diesem Beitrag mit einem Thema beschäftigen, dass maßgeblich zum Erfolg jenes Neujahrsvorsatzes (Gesunde Ernährung) beitragen könnte.

Einmal volltanken, bitte!

Einsteigen möchte ich mit einer interessanten Aussage von Nassim Nicholas Taleb aus seinem Buch „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“:

Wenn Sie Ihre Ernährung und Ihre körperliche Bewegung als schlichte Energiedefizite und -überschüsse ansehen, mit einer simplen Gleichung im Hinblick auf die aufgenommenen und verbrannten Kalorien, werden Sie das System fälschlicherweise in Form einfacher kausaler und mechanischer Zusammenhänge spezifizieren. Ihre Nahrungsaufnahme wird dann das Gegenstück dazu, dass Sie den Tank Ihres neuen BMW füllen. [2]

Als ich diese Textstelle zum ersten Mal gelesen habe, bin ich nicht nur ins Grübeln gekommen, ich fühlte mich irgendwie ertappt. Auf der einen Seite konnte ich nicht glauben, dass Kalorienzählen – eine Aufgabe, welcher ich schon seit einiger Zeit selbst nachgehe – völlig nutzlos bzw. unangebracht sei. Kalorien sind schließlich ein Maß für die Energie und somit die primäre Stellschraube von Diäten – so meine Auffassung. Auf der anderen Seite wusste ich jedoch auch um die Komplexität unseres Körpers und seiner Prozesse Bescheid. Wie also ist diese Aussage zu verstehen?

Wie war das nochmal mit den Kalorien?

Zunächst nochmal auf Anfang: Ich denke ich spreche für die Mehrheit der Bevölkerung, wenn ich annehme, dass gesunde Ernährung in erster Linie mit einem Verzicht einher geht. Verzicht auf Süßigkeiten, Verzicht auf Fast-Food, vielleicht sogar Verzicht auf das persönliche Leibgericht. Was zählt sind offenbar die Kalorien, genauer gesagt die Kilokalorien (kcal).

Im Netz finden sich unzählige Seiten, auf denen man seinen individuellen Kalorienbedarf errechnen lassen kann. Eingangsvariablen hierfür sind meist „Alter“, „Körpergröße“, „Gewicht“ und „Geschlecht“. Manche Rechner bieten zudem die Option, den Tagesbedarf unter Berücksichtigung körperlicher Tätigkeiten (Beruf, Sport, Freizeit) zu ermitteln. Während der sogenannte Grundumsatz bei den meisten Webseiten ungefähr gleich ist, wird es bei der Selbsteinschätzung hinsichtlich körperlicher Aktivitäten schnell sehr intransparent, da der Nutzer nicht nachvollziehen kann, inwiefern sich die zur Auswahl stehenden Tätigkeiten kalorienmäßig unterscheiden. Zudem sind die Auswahlmöglichkeiten teils sehr skurril: So bin ich in meiner Recherche unter anderem auf die Optionen „Körperpflege (Duschen, Schminken, Stylen)“, „Surfen im Internet“, und mein persönlicher Favorit „Küssen (sanft)“ gestoßen. Es sei gesagt, dass hierbei stets eine Angabe in Stunden bzw. Minuten pro Tag verlangt wird. Für alle Neugierigen: 1 h Küssen (sanft) verbrennt laut Apotheken-Umschau 65 kcal.

AnbieterGrundumsatz (kcal)Quelle
Apotheken-Umschau1755Link
BMI-Rechner1790Link
Calculator.net1730Link
Men’s Health1790Link
MyFitnessPal1730Link
Verwendete Angaben: 30 Jahre, 180 cm, 75 kg, männlich)

Woher kommt die Nährwertangabe?

Spaß bei Seite. Die Frage nach dem täglichen Kalorienbedarf hat mich zu einer weiteren Frage geführt: Wie entstehen eigentlich die Nährwertangaben, im Speziellen der Brennwert, eines Lebensmittels?

In Kürze: Die Angaben auf den europäischen Nährwerttabellen [3] von Lebensmitteln basieren auf dem sogenannten Atwater-System [4]. Dieses System basiert wiederum auf den Ergebnissen eines Bombenkalorimeters, bei welchem das zu untersuchende Lebensmittel bzw. dessen Nährstoffe in einer mit Sauerstoff befüllten Kapsel vollständig und explosionsartig verbrannt wird. Der dabei entstehende Temperaturanstieg wird in Form von Wärmeenergie an das, die Kapsel umgebende, Wasser abgegeben. Anhand der Temperaturänderung im Wasser kann dann auf den Brennwert (Kilojoule bzw. Kilokalorien) des Lebensmittels geschlossen werden [5].

Umwandlung statt Verbrennung

Dass dabei die „Verbrennung“ von Lebensmitteln in unserem eigenen Körper mit laborähnlichen Bedingungen wenig zu tun hat, liegt auf der Hand. Zudem sollten wir unser Bild von der Kalorienverbrennung, welche ja suggeriert, dass am Ende nichts mehr übrigbleibt, gegen eines der Energieumwandlung eintauschen. Diese ist wiederum nicht nur individuell, sondern auch zeitlich und nahrungsmittelspezifisch sehr unterschiedlich [6]. Des Weiteren kann der Energieverbrauch, den verschiedene Personen für eine bestimmte Tätigkeit benötigen, stark variieren. Zu ermitteln, wie viele Kalorien der eigene Körper am Tag benötigt und daraus beispielsweise schlussfolgern, wie viel man essen kann, um das Gewicht zu halten, ist schier unmöglich.

Was ich dir auf den Weg geben will

Wie wir gesehen haben ist Ernährung eine hochkomplexe Angelegenheit. Auch wenn ich selbst kein Ernährungsexperte bin, möchte ich dir an dieser Stelle ein paar wertvolle Tipps auf den Weg geben, die auch mir bei der Gewichtsabnahme bzw. beim Halten des Gewichts viel geholfen haben. Was die Tipps allesamt gemein haben, ist, dass sie sofort anwendbar und nicht allzu radikal gestaltet sind:

  1. Ernähre Dich abwechslungsreich! Und damit meine ich selbstverständlich nicht: Heute Pizza, morgen Burger. Wie wir gesehen haben, sind Kalorien nicht das ausschlaggebende Kriterium. Sich mehrere Wochen nur von Schokolade zu ernähren, auch wenn man das persönliche Kalorienlimit nicht überschreitet, kann zu erheblichen Mangelerscheinungen und gesundheitlichen Problemen führen. Vielmehr geht es darum Obst, Gemüse, Vollkorn- und Milchprodukte gleichermaßen in deinen Speiseplan einzubauen, um eine einseitige Ernährung zu vermeiden. Gegen gelegentliche Cheat-Days ist dabei absolut nichts einzuwenden.
  2. Sei offen für Neues und probiere Dinge aus! Egal ob es darum geht, wie viele Mahlzeiten du pro Tag zu dir nimmst, welche Ernährungsform die Richtige für Dich ist oder einfach nur darum, neue Lebensmittel auszuprobieren. Lasse dir nichts vorschreiben, sondern experimentiere und schau‘ was am besten für Dich passt.
  3. Mache keine radikalen Diäten. Diät kommt vom altgriechischen díaita und bedeutet so viel wie „Lebensweise“. Und das ist genau der Punkt: Ziel sollte es immer sein, langfristig eine gesunde und ausgewogene Ernährung anzustreben. Diäten können durchaus für den nötigen Motivationsschub sorgen, bieten aber auch reichlich Frustrationspotenzial an, vor allem, wenn die gewünschten Ergebnisse nicht rasch eintreten.
  4. Führe Buch über deine Nahrungsaufnahme. Internet und Apps machen es dir dabei so leicht wie nie zuvor. Ich denke die Wenigsten wissen, was sie täglich an Kalorien zu sich nehmen. Und auch wenn dieser Tipp gegen die Schlussfolgerung dieses Beitrags spricht, so kann es dennoch sehr lehrreich sein, einfach mal ein Gespür für die eigene Ernährung zu bekommen. Eine Woche Tracking reicht hierbei vollkommen. Wichtig: beim Aufzeichnen immer ehrlich zu sich selbst sein.
  5. Achte bei deinem nächsten Besuch im Supermarkt einfach mal auf dein Kaufverhalten. Oft kann es helfen, die Süßigkeiten-Abteilung oder sonstige Orte der Versuchung zu meiden. Mir persönlich hat dieser Tipp sehr geholfen, da ich mich selbst immer wieder ertappt habe, Süßigkeiten und Kekse zu essen, einfach nur, weil sie „da“ waren. Sobald ich jene Sachen gemieden hatte, hat sich mein Verlangen danach gelegt bzw. auf gesundere Snacks verlagert, die ich stattdessen gekauft habe.
  6. Miss deine Ergebnisse regelmäßig. Das bedeutet beispielsweise, Dich jeden Tag zu wiegen (idealerweise unbekleidet und stets am Morgen noch vor dem Frühstück). Viele Menschen – meist die mit den ambitioniertesten Vorsätzen – neigen dazu, sich nur sporadisch zu wiegen oder nur dann, wenn am Vortag gesund oder wenig gegessen wurde. Falle nicht auf diesen Bestätigungsfehler herein, sondern ermittle vielmehr den Durchschnittswert einer Woche oder eines Monats. Diese Methode ermöglicht es nicht nur, verlässlichere Ergebnisse zum Vorschein zu bringen, sie nimmt zudem die Angst bzw. den Frust, wenn die Waage ab und zu doch mal einen höheren Wert ausspuckt.

Weiterführende Links

Quellen

[1] Statista Research Department (2020), „Welche Vorsätze haben Sie für 2021?“

[2] Taleb, N. (2015), „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“, Pantheon Verlag, München

[3] Amtsblatt der Europäischen Union (2011), „Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates“

[4] Merrill A., et al. (1973), „Energy value of foods: basis and derivation“, Agriculture Handbook No. 74, ARS United States Department of Agriculture, Washington DC

[5] Linde, K. (2007), „Measuring Calories in Food: the Bomb Calorimeter“, Food Track, Fisher Scientific Company L.L.C.

[6] Rajan, E. (2019), „Digestion: How long does it take?“, Mayo Foundation for Medical Education and Research

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